Schauspiel

Hafen­straße

Rechercheprojekt von Helge Schmidt

»An dieser Stelle, Hafenstraße 52, starben am 18. Januar 1996 zehn Menschen durch Brandstiftung. Sie waren nach Deutschland gekommen, um hier Schutz zu finden. Das Ereignis erfüllt uns mit Trauer und Schmerz. Die Verantwortlichen für das Verbrechen sind nicht ermittelt worden. Der Tod der Opfer und das Leid der Hinterbliebenen mahnen uns, für die Rechte und die Sicherheit von Flüchtlingen einzutreten.«

So lautet die Inschrift der Gedenktafel, die an den Anschlag erinnert und sich nun dort befindet, wo früher einmal, vor seinem Abriss, ein Haus gestanden hat: Lübeck, Ecke Hafenstraße/Konstinstraße, ein ehemaliges Seemannsheim, drei Stockwerke hoch. Zum Zeitpunkt des Brands beherbergte es 46 Asylsuchende aus verschiedenen Ländern und Krisengebieten.

Mit dieser Untat reiht sich Lübeck in eine unrühmliche Liste von Städten ein, die vor allem in den 90ern durch Anschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten – Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen. Doch eines ist in Lübeck anders, denn hier wurden, trotz einer Reihe von Spuren, die Täter:innen niemals ermittelt.

»Hafenstraße« wird den zehnfachen Mord wieder ins Gedächtnis rufen und lässt in Interviews verschiedene Zeitzeug:innen zu Wort kommen. Es klafft eine Wunde in der Stadt, die im kollektiven Gedächtnis zu verblassen droht. Was bedeuten diese Schuld und ihr Vermächtnis fürs heutige Lübeck?

Besetzung

Inszenierung & Fassung Helge Schmidt
Licht Daniel Thulke
Dramaturgie Oliver Held, Knut Winkmann

Wir danken unseren Interviewpartner:innen: Holger Bachmann-Wulf, Ebrahim Badour, Michael Bouteiller, Maria Brinkmann, Esperanca Bunga, Gabriele Heinecke, Karina Lück, Abdulla Mehmud, Jana Schneider
 Hafen ­ straße
Foto: Isabel Machado Rios
Premiere 05/04/24 · Kammerspiele

Dauer: ca. 1 Stunde, 20 Minuten (keine Pause)

Pressestimmen

»Ein Abend, der unter die Haut geht.«

nachtkritik

»Die Wucht des vor Ort recherchierten Materials ist erschütternd […] und leistet aus sich selbst heraus den Bezug zu deutscher Geschichte und Gegenwart. Weit über Lübeck hinaus. Lübeck, Stadt der Hanse? Stadt des Marzipans? Lübeck, Stadt des Brandanschlags auf ein Asylbewerber*innenhaus in der Hafenstraße 52. Am 18. Januar 1996.«

nachtkritik

»Dem Lübecker Schauspiel gelingt ein beklemmend gutes Rechercheprojekt über den Lübecker Brandanschlag auf ein Asylantenheim in der Hafenstraße. […] Dass dieses Erinnern so unter die Haut geht, ist […] auch das Verdienst des Regisseurs und Autors dieses Rechercheprojekts: Helge Schmidt. […] Helge Schmidt und sein famoses Schauspielerensemble mit dem charismatischen Jan Byl, der empathischen Sonja Cariaso, der herben Lilly Gropper, dem spröden Sven Simon und dem schillernden Vincenz Türpe schaffen eine geradezu virtuose Balance zwischen faktenorientierter Sachlichkeit und ästhetischer Haltung. […] dieser Abend […] [ist] ein […]  Ereignis von hoher ästhetischer und gesellschaftlicher Relevanz.«

Die deutsche Bühne

»Jan Byl, Sonja Cariaso, Lilly Gropper, Sven Simon und Vincenz Türpe entfächern Schmidts Rechercheprojekt auf der Bühne. Sie spielen nicht, sie stellen dar. Man möge selbst entscheiden, ob man Applaus für richtig hält, heißt es am Schluss. Bei der Premiere ist zunächst Stille. Dann ruft einer ›Danke!‹ aus dem Publikum.«

shz

»Spannender und verstörender als jeder Krimi. Helge Schmidt macht Anschlag auf Lübecker ›Hafenstraße‹ zu berührendem Dokumentartheater.«

Hamburger Abendblatt

»Im Fokus steht die Brandstiftung in der Lübecker Hafenstraße vom 18. Januar 1996, durch die drei Erwachsene und sieben Kinder und Jugendliche ums Leben kommen. Die Menschen stammen aus Angola, Togo, Zaire und dem Libanon, die jüngsten sind in Deutschland geboren. 38 weitere Hausbewohner werden verletzt. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt. Es geht um die Opfer, ihre Hinterbliebenen, um Tatzeugen und Zeitzeugen, um Verdächtige, um Ermittler. Und es geht um das Erschrecken über die eigene träge Untätigkeit. […] Auch die Erinnerungskultur wird von Helge Schmidt kritisch befragt. Die Stele steht – und nun? Nichts wird wieder gut.«

Lübeckische Blätter

»Nach der Vorstellung herrscht Schweigen im Zuschauerraum. Dann rührt sich zögernd schüchterner Applaus, der bald wieder verstummt. Zu eindringlich, zu bedrückend, zu anrührend ist das, was […] über die Bühne geht. Nein, kein Schauspiel, es ist eine Collage aus Originaltexten und Texten […]. Und es ist eine Mischung aus Geschichtsstunde, Kriminalfall und teils harscher Gesellschaftskritik.«

Lübecker Nachrichten

»Dieser Abend […] macht die Perspektive von Opfern und Angehörigen stark und ihre Zweifel am für einzig wahr erklärten Tathergang; er fordert, die Sache neu aufzurollen, juristisch, aber auch politisch: So weisen die Darsteller:innen auch auf eine laufende Onlinepetition hin, die einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordert. Dass so etwas Gefahr läuft, einzig Gleichgesinnte in ihrer Rechtschaffenheit zu bestätigen, problematisiert er klugerweise selbst: Dass weder auf der Bühne noch in den Sitzreihen die echte gesellschaftliche Vielfalt abgebildet sei, sprechen die Spielenden an.«

taz Nord

»Die fünf Schauspieler und Schauspielerinnen sind an diesem Abend eher Vortragende. Auf der Bühne ergibt sich durch den Wechsel vom freien Sprechen zum Gang zum Standmikrofon eine ständige Bewegung in der Szenerie. […] Das Bühnenbild von Atelier Lanika hat viel Symbolkraft von den weißen geschlossenen Lamellenjalousien bis zu dem Einsatz von Wasser zum Reinwaschen, löschen und im Regen stehen lassen. […] Jan Byl, Sonja Cariaso, Lilly Gropper, Sven Simon und Vincenz Türpe schaffen in ihrer Darstellung die Balance zwischen Sachlichkeit und Haltung. […] Ein bedrückendes aber absolut wichtiges Stück für Lübeck.«

Offener Kanal Lübeck

Weitere Informationen

 

Interview mit drei Vertreter:innen der Initiative Hafenstraße’96 finden Sie hier.

Hinweis: In der Inszenierung »Hafenstraße« werden Auszüge aus dem Buch »Versöhnungstheater« von Max Czollek zitiert (© 2023 Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München).